27 Mai 2013

49 Jahre FARC-EP


Am 27. Mai 1964 begann die Militäroperation der kolumbianischen Regierung gegen die Bauernenklave Marquetalia in Zentralkolumbien. Es ist ein symbolisches Datum, denn mit diesem Tag ist nicht nur der Angriff einer Regierung gegen 48 bewaffnete Bauern verbunden, sondern es ist der Beginn einer Transformation von kleinen in verschiedenen Gebieten lebenden bewaffneten Bauern hin zu einer weltweit ältesten und aktivsten Guerillabewegungen. 49 Jahre FARC-EP bedeuten 49 Jahre Kampf für ein neues und gerechtes Kolumbien, aber auch 49 Jahre Kampf für  Frieden. Von Marquetalia nach Havanna – ein Stück Zeitgeschichte…

Kolumbien ist ein reiches Land. Hier gibt es drei große Gebirgszüge der Kordilleren, zwei große Flüsse durchfließen das Land von Süd nach Nord, es gibt die weiten Grassavannen im Osten und im Süden das Amazonasgebiet. Kolumbien ist das Land mit der zweitgrößten Biodiversität, also der Artenvielfalt, mit Küsten an zwei Ozeanen, mit fast allen möglichen Klimazonen, welche die allerbesten Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Produktion bieten und somit mehrere Ernten im Jahr ermöglichen. Mit einer Bevölkerung von mehr als 46 Millionen gäbe es in Friedenszeiten ein enormes wirtschaftliches Potential und aus Sicht der Lebensmittelproduktion zur Selbstversorgung wesentlich mehr Möglichkeiten, als in vielen anderen Ländern der Erde. Hinzu kommen diverse Bodenschätze, die erst seit wenigen Jahrzehnten ausgebeutet werden. Kurz um, Kolumbien ist ein Land mit eigentlich traumhaften Bedingungen.

Aber Kolumbien befindet sich in einer nationalen Tragödie, denn mehr als 60 Jahre staatlicher Terror und Krieg haben die verschiedenen Generationen geprägt und ein scheinbar reiches Land physisch und psychisch zerstört. Es gab mehrere Etappen von großer sozialer Ungerechtigkeit bis hin zu demokratischen Beschneidungen und Zeiten starker Repression. Die Zeiten des Schmerzes begannen mit der Präsidentschaft von Dr. Mariano Ospina Pérez aus der Konservativen Partei im Jahre 1946, in der die gewalttätige Unterdrückung der Opposition, besonders die der Liberalen Partei, begann und die wiederum zu einem Anwachsen des friedlichen Protests führte. Erinnert sei an die großen Zusammenkünfte auf dem Plaza de Bolívar in Bogotá, als die Menschen den Anführer der Liberalen Partei Dr. Jorge Eliécer Gaitán zuhörten. Der Platz war überfüllt, es gab keine Rufe, kein Klatschen, alles hörte nur auf Gaitán, der über die soziale Gerechtigkeit, den Frieden und die Versöhnung redete.

Am 9. April 1948 wurde Gaitán ermordet und bis heute ist nichts über die Auftraggeber bekannt und blieb sein Tod völlig ungesühnt. Bis heute wurden Dokumente und Ermittlungen der CIA nicht freigegeben, obwohl der Zeitpunkt während der Panamerikanischen Konferenz, die in jenen Tagen in Bogotá stattfand, und die anschließenden Unruhen ein gesteigertes Interesse hervorriefen. Das kolumbianische Volk musste in jenen Jahren einen großen Tribut dieser katastrophalen Regierung zahlen, zwischen 1948 und 1953 starben mehr als 300.000 Landsleute durch die staatlichen Mörderbanden und der Unruhen. Diese Politik des Blut und Feuers gegen Systemkritische und Oppositionelle wird bis heute fortgeführt.

Die liberale Führungsschicht ging ins Exil und die Mitglieder und Sympathisanten der Liberalen Partei duckten sich dem Terror oder zogen sich teilweise in die Berge zurück. Sie besorgten sich Waffen um ihr Leben und das ihrer Familien zu verteidigen während die konservativen Kräfte im ganzen Land wüteten und linke und liberale Kräfte vernichteten. Im Jahr 1953 putschte sich der General Gustavo Rojas Pinilla an die Macht und versuchte beide Seiten, als auch die Guerillagruppen, unter dem Motto „Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit“ zur Waffenabgabe zu bewegen. Die meisten Kämpfer hielten sich an die Richtlinie der Liberalen Partei und gaben ihre Waffen ab. Doch was folgte war nicht der Frieden. Sehr schnell wurde die Militärregierung zum Feind für all jene, die ihre Politik weiter kritisierte. Der General entpuppte sich als Verfechter einer streng antikommunistischen Doktrin, die auch Thema der IX. Panamerikanischen Konferenz war. Im Zuge dessen bekämpfte er die Kritiker und Opposition und ließ ländliche Regionen wie in Tolima bombardieren. Hierher hatten sich liberale und linke Kräfte zurückgezogen. Bei den Bombardierungen wurden zahlreiche Männer, Frauen und Kinder getötet.

1957 musste General Rojas Pinilla zurücktreten. Die beiden großen Parteien, die Konservative und die Liberale Partei, teilten sich nun die Macht auf. Die neue Regierung rief die Guerillaverbände wieder zum Frieden und zur Arbeit auf. Diese akzeptierten schließlich und ein Großteil der Menschen kehrte in ihre angestammten Regionen zurück. Die Zeit der „Violencia“, der schrecklichen Gewalt, war vorüber. Die liberalen und linken Bauern lebten und arbeiteten in den bergigen Gebieten von Rio Chiquito, Marquetalia, El Pato und El Guayabero. Hier bauten sie Mais, Bananen, Maniok, Kaffee und Bohnen an, sie züchteten Schweine, Rinder und Hühner und nutzten diese Produkte zur Selbstversorgung oder zum Verkauf in den naheliegenden Städten.

Doch dem Staat waren diese fast selbständig agierenden Bauernenklaven ein Dorn im Auge, denn linksliberale und revolutionäre Ideen und Lebensweisen waren hier weit verbreitet. Die militärischen Aggressionen spitzten sich über die Jahre weiter zu. Die ehemaligen Bauern, die in Selbstverteidigungsgruppen organisiert waren, stellten militärisch eigentlich gar keine Gefahr dar, ihre Waffen waren veraltet und ihre Anzahl im Gegensatz zur Armee gering. Doch im Zuge der erfolgreichen sozialistischen kubanischen Revolution sollte ein revolutionärer Flächenbrand in Lateinamerika verhindert werden. Ende Mai 1964 griff die Armee mit Unterstützung der USA die von Bauern selbstverwaltete Region Marquetalia an. Tausende Soldaten wollten die Bauernrepublik Marquetalia mit ihren gerade einmal 48 bewaffneten zurückgebliebenen Bauern vernichten. Ziel war es, den Keim der Revolution zu ersticken und ein weiteres Kuba zu verhindern.

Diese permanente Verfolgung und die militärischen Operationen der Regierung sind letztendlich der Ursprung der FARC-EP, eine der weltweit ältesten Guerillabewegungen und die seit fast einem halben Jahrhundert gegen den gewalttätigen und ungerechten Staat kämpft. Die Ziele nach Würde für alle Menschen, sozialer Gerechtigkeit und Frieden führte im Laufe des Bestehens zu mehreren Versuchen von Friedensprozessen. Im Jahr 1984 wurden die Vereinbarungen von „La Uribe“ getroffen, benannt nach dem Ort der Zusammenkunft. Hierbei konnte ein Waffenstillstand vereinbart werden, der offiziell zwar erst am 9. Dezember 1990 mit der Bombardierung des Hauptquartiers der FARC-EP, dem „Casa Verde“, beendet wurde, der aber in den letzten Jahren immer brüchiger wurde und in dem der Staat zunehmend auf paramilitärische Kräfte setzte. Die Bombardierung des „Casa Verde“ fand just an jenem Tag statt, als man die neue kolumbianische Verfassung verabschiedete.

Ein Produkt des Abkommens von „La Uribe“ war die Gründung der „Unión Patriótica“ (UP), eine pluralistische und linke Partei, die starken Rückhalt bei den Arbeitern, Studenten und der ärmeren Bevölkerung hatte. Innerhalb kürzester Zeit wurden 14 Kongressabgeordnete, 17 Parlamentsabgeordnete, 10 Bürgermeister und 135 Gemeinderäte gewählt. Doch die Reaktion der kolumbianischen Rechten ließ nicht lange auf sich warten. So wurden die beiden Präsidentschaftskandidaten Jaime Pardo Leal und Bernardo Jaramillo, ein Großteil der Abgeordneten und Funktionsträger sowie fast 5000 Mitglieder, Aktivisten und Sympathisanten ermordet. Alle Aufschreie verklangen, als die kolumbianische Linke, die Familien und die Bevölkerung den Staat in die Verantwortung nehmen wollten, um das systematische Morden zu beenden. Doch nicht nur Personen der UP und der Kommunistischen Partei fielen dem staatlich geduldeten Terror der Paramilitärs zum Opfer, auch Carlos Pizarro von der legalisierten M-19 und Luis Carlos Galán des neuen Liberalismus starben durch Attentate. Der Frieden, der noch zuvor von der Regierung bekräftigt wurde, schien in weite Ferne gerückt zu sein und eine legale politische Oppositionsarbeit unmöglich.

Was folgte war ein stetiger politischer und militärischer Zuwachs der FARC-EP. Die Guerilla war im ganzen Land präsent und stand vor den Toren der Hauptstadt. Ein neuer Schritt, um Friedensgespräche zu eröffnen geschah im Jahr 1998 mit der Regierung von Andrés Pastrana. Am 7. Januar 1999 begannen die Gespräche in San Vicente del Caguán. Zeitgleich versucht die Regierung jedoch mit Hilfe der USA den Militärplan „Plan Colombia“ zu forcieren und den Staat aufzurüsten. Der Dialog um Frieden und soziale Programmpunkte schleppte sich über drei Jahre hin, bis am 20. Februar 2002 Präsident Pastrana trotz der Bedenken zahlreicher Staaten, die den Prozess begleiteten, den Dialog beendete. Die Fortschritte einer gemeinsamen Agenda für einen Wandel in Kolumbien und die bereits thematisierten Vereinbarungen in politischen, sozialen und wirtschaftlichen Themen wurden an die Wand gefahren.

Was folgte war eine Militarisierung des Landes unter Álvaro Uribe Veléz und eine Ausweitung des Bürgerkriegs auf das gesamte Territorium Kolumbiens. Die FARC-EP machten wiederholt darauf aufmerksam, dass sie für die neue Gewalt nicht allein verantwortlich sind, wie dies von der Regierung und den Massenmedien immer behauptet wurde. An den Präsidenten Uribe sendeten die FARC-EP mehrere öffentliche Vorschläge zur Entmilitarisierung und zu einem Weg des Friedens. Doch Uribe glaubte, den Konflikt mit militärischen und repressiven Mitteln lösen zu können. Die Militärschläge von 2008 konnte die Guerilla nicht verunsichern. Mit Juan Manuel Santos folgte ein Nachfolger auf das Präsidentenamt, der zwar die militärische Politik von Uribe fortsetzte, aber auch Friedensgespräche mit der Guerilla begann. Doch der derzeit stattfindende Dialog in Havanna auf Kuba kann nicht verhehlen, dass weiterhin kritisch denkende Personen und soziale und politische Aktivisten verfolgt werden und sich die FARC-EP im Krieg mit der Regierung befindet.

Solidarität mit der FARC-EP!
Für ein neues Kolumbien!